
Erfahre in diesem Beitrag, warum manche Stellenanforderungen schlichtweg übertrieben sind und damit Bewerber nicht anziehen, sondern vielmehr abschrecken.
Über einen Geschäftspartner wurde ich kürzlich auf einen Twitter-Post aufmerksam, der in LinkedIn aufgegriffen und zu mehr als 200 Kommentaren geführt hatte. Worum ging es?
Die Story zum Thema Berufserfahrung
Auf Twitter berichtete Sebastián Ramirez von einer Stellenausschreibung, welche eine mehr als 4-jährige Erfahrung in FastAPI als Anforderung definierte. Kurzer Exkurs für IT-Interessierte: FastAPI ist ein modernes Web-Framework zur Erstellung von APIs mit Python 3.6+, basierend auf Standard-Python-Typ-Hints, welches von Ramirez erst vor 1.5 Jahren entwickelt und veröffentlicht wurde:

Seltsam, nicht wahr? Wie kommt es, dass eine mehr als 4-jährige Erfahrung von etwas gefordert wird, das erst seit 1.5 Jahren zugänglich wurde? Stephan Anpalagan meinte dazu in seinem LinkedIn-Post, dass dieses eine Beispiel in etwa alles erkläre, was im Recruiting-Prozess falsch läuft.
Was läuft im Rekrutierungs-Prozess falsch?
Nun, soweit würde ich nicht gehen, wenngleich die Aussage durchaus berechtigt ist. Denn nur allzu häufig werden in Stelleninseraten Anforderungen verlangt, welche Bewerberinnen und Bewerber gar nicht erfüllen können. Entweder wird etwas gefordert, das es in dieser Ausprägung - wie das eingangs erwähnte Beispiel verdeutlicht - noch gar nicht geben kann, oder es wird ein Anforderungsprofil gezeichnet, das nur eine Superfrau oder Supermann erfüllen können. Das Bild der Wunsch-Kandidatin oder des -Kandidaten ohne Fehl und Tadel also. Stellenausschreibungen, die ein Idealprofil beschreiben, bei dem selbst erfahrenste BewerberInnen desinteressiert abwinken. Weil die Anforderungen schlichtweg zu hoch angesetzt wurden ("jung und dynamisch mit 30 Jahren Berufserfahrung").
Realistische Stellen-anforderungen, bitte!
"Typisch HR" meinst du? Vielleicht … nur von Typologien und stereotypischen Aussagen halte ich bekanntlich gar nichts. Denn meistens braucht es - wie in einer Partnerschaft - mindestens zwei Beteiligte: Der den Suchauftrag erteilende Linienvorgesetzte und der die Stellenanzeige verfassende HR-Recruiter. Ohne in Diskussionen über 'Huhn oder Ei' abzuschweifen, müssten beide wenigstens Konsens darüber finden, welche realistischen Stellenanforderungen zu stellen sind, nicht wahr?
Aber Fehler passieren nun mal, nicht nur bei HR, auch in der Linie oder als Resultat einer wenig bewussten, sachlichen Auseinandersetzung - in diesem Fall mit den Stellenanforderungen. In anderen Fällen oftmals als Resultat einer unterschiedlichen Wahrnehmungsperspektive - mehr dazu in meinem HR Video-Report "Warum Linienvorgesetzte anders ticken wie Sie".
Ein solcher Fehler könnte als Erfahrungs-Ungeschick bezeichnet werden, denn eine bodenständige Erfahrung verlangt ja mindestens nach etwa 4-5 Jahren, nicht wahr? Das dürfte auch der FastAPI-Geschichte ein paar schwungvolle Jahre mehr verschafft haben, wenngleich es die Geschichte ja so erst seit 1.5 Jahren gibt.
Der Köder (Stellenausschreibung und Stellenanforderungen) muss dem Fisch (Bewerber) schmecken, nicht dem Angler (HR Recruiter)! Häufigstes Problem: Es sind die Angler (HR Recruiter), die den Köder wählen.
Der Tribut zunehmender Komplexität
Solche Fehler gehen selbst einem auf IT spezialisierten HR-Recruiter oder gar dem Linien-Vorgesetzten durch die Latten, denn Programmiersprachen und IT-Frameworks werden immer zahlreicher und die Anforderungen an einzelne Stellen immer komplexer. Das erklärt auch, warum viele HR-Recruiter mit der Formulierung von sachlich profunden Stellenanforderungen allein leicht überfordert sind. Ihnen fehlt das dafür notwendige Fachwissen.
Kein Bock auf "Sympathie-Checks"
Dies ist mit ein Grund, weshalb Bewerber lieber gleich mit den zuständigen Linienvorgesetzten sprechen möchten - gute Talente hassen es nämlich, wenn sie von für sie nicht relevanten und aus ihrer Sicht eher inkompetenten Personen "Sympathie-Checks" über sich ergehen lassen müssen, bevor sie sich mit der oder dem Linienvorgesetzten meist erst im Rahmen der Hauptselektion ins Gespräch einbringen können.
Kandidaten-zentrierte statt recruiter-zentrierte Rekrutierungs-prozesse
Leider laufen die meisten Rekrutierungsprozesse noch nach diesem Muster: Stellenausschreibung, Vorselektion und "Sympathie-Checks" durch HR, Hauptselektion - von dem, was nach HR noch übrig bleibt - durch die Linie. Und das dauert alles in allem meist viele Wochen oder gar Monate. Diesen "klassischen" Rekrutierungs-Prozess bezeichne ich deshalb als Unternehmens- bzw. Recruiter-zentriert.
Wie an anderer Stelle schon erwähnt, lässt sich der Rekrutierungsprozess aber auch mit nur wenigen Änderungen Kunden- bzw. Kandidaten-zentriert gestalten, sodass sich alle Bewerber gleich von Beginn weg zu Ihrem Vorteil ins Gespräch einbringen können - und nicht nur wenige erst bei der Endauswahl. Das wiederum verbessert die Candidate Experience und Happiness während der Candidate Journey enorm und stärkt das Employer Branding und HR-Image.
Fazit: Wer fragt, führt - wer hinterfragt, klärt!
Gerne überlasse ich dir nachfolgend und zusammenfassend noch eine Abschrift meines spontanen Kommentars auf den eingangs erwähnten Twitter/LinkedIn-Post:
Das Beispiel verdeutlicht einmal mehr, wie wichtig der konkrete und tatsächliche Bezug zu den Anforderungen an eine Stelle ist. Aber Achtung: Erwünscht ist in der Praxis oft nicht gleichbedeutend mit tatsächlich erforderlich. Zu oft ist - wer auch immer, ob Linie oder HR - geneigt, ein Idealbild zu zeichnen, das in der Praxis aber nicht vorkommt. Wunschdenken also. Und wer die Anforderungen bei einer Stellenbesetzung nicht jedes Mal hinterfragt, läuft Gefahr, ein Wunschbild zu zeichnen, das es nicht gibt.
Ein einfaches Hilfsmittel dazu ist, für die Abklärung der Erfüllung der Grundanforderungen an eine Stelle mit Online-Fragenkatalogen zu arbeiten (15, 20, 25 oder mehr interessierende und teils zusätzlich abklärende Fragen), welche gemeinsam zwischen HR und Linienstelle erarbeitet bzw. bei Wiederbesetzungen nochmals überarbeitet werden.
Die gemeinsame Erstellung der Fragenkataloge schärft die Formulierung und Präzision der Anforderungen. Und die vergleichende Beurteilung der Antworten der 10 Besten auf die abklärenden Fragen wiederum verbessert die Vorauswahl-Entscheidung zusätzlich. Die Antworten der Bewerber zeigen dann nicht nur, wer die Grundanforderungen (am besten) erfüllt, sondern auch, ob die vermeintlichen Fragen auch treffend und realistisch genug formuliert wurden. Mehr dazu in diesem Artikel: https://www.reneanderegg.com/post/021-lean-recruiting-artikel-serie-schritt-2-anforderungs-check
Wenn du anhand von konkreten Projektbeispielen erfahren möchtest, wie ein effizientes und modernes Rekrutierungsverfahren funktioniert, dann klicke bitte www.imde.net/online und logge dich wie folgt ein: – Benutzername Lean – Passwort +41772210221 Ich melde mich dann für die gewählte Projekterläuterung möglichst zeitnah bei dir.
Herzlichst,
René Anderegg, lic.oec.HSG
Comments